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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 23.08.2007


Gewöhnt Euch an die Frauen
Jule Fischer

PolitikwissenschaftlerInnen meinten, sie habe nicht den Hauch einer Chance, die Wahlen am 28.10.07 zu verlieren. Sie behielten recht: die First Lady Cristina Kirchner löst ihren Präsidentenmann ab




News vom 29.10.2007Cristina Kirchner ist Argentiniens erste Präsidentin

Bereits nachdem die Hälfte der Stimmen ausgezählt war, zeichnete sich ein so deutlicher Wahlsieg Christina Kirchners ab, dass eine Stichwahl unnötig wurde. Damit ist Christina Kirchner Nachfolgerin ihres Mannes und die erste demokratisch gewählte Präsidentin Argentiniens.
Zwar galt ein Sieg der neuen Präsidentin schon im Vorfeld als sicher, in den letzten Wochen vor der Wahl beobachte ihre Partei jedoch mit Sorge die Annäherung der Opposition, welche stetig Prozentpunkte hinzugewann. In direkten Zusammenhang gebracht wird diese Veränderung, mit den zunehmend aufgekommenen Korruptionsvorwürfen gegen die Kirchners. Nichtsdestotrotz fiel das Votum mehr als deutlich aus: 44,7% der ArgentinierInnen wählten Kirchner.
Letztlich war es allein Elisa Carrió, Oppositionskandidatin des Mitte-Links-Bündnisses, der noch Chancen auf einen Sieg eingeräumt wurden. Sie erhielt mit großem Abstand rund 23% der Stimmen, das zweitbeste Ergebnis, noch vor Roberto Lavagna, welcher lediglich 16,9 % der Stimmen auf sich vereinigen konnte.
Deutlich war mit den Hochrechnungen schon eine Woche vor der Wahl, dass zum einen eine Frau Staatsoberhaupt würde und zum anderen die Linke die Wahlen für sich entscheiden würde.

(Quellen: www.clarin.com, www.lanacion.com)


Als ihre AssistentInnen den AnhängerInnen im Luna Park in Buenos Aires ein "Christina presidente!" zuriefen, wurden sie harsch unterbrochen. "Präsidentin!" rief die wahrscheinlich nächste Präsidentin und Noch-First Lady Argentiniens Christina Kirchner in den Saal: "Vayan acostumbrándose a las mujeres!" – Gewöhnt Euch an die Frauen!

"Hillary von der Pampa" - ihr Name wird seit ihrer Kandidatur nur noch in Vergleichen genannt, mal mit Argentiniens Nationalheldin Evita Perón, mal mit Hillary Clinton. In Argentinien wird sie von der Mehrheit geliebt und von der nationalen Bourgeoise gehasst, aber nie ignoriert. Während sich die Klatschpresse auf ihre Designer-Outfits und Schönheitsoperationen stürzt, füllt Christina Kirchner die Hörsäle der Universitäten oder vertritt ihren Mann auf Auslandsreisen.

Auch wenn die ArgentinierInnen in ihr gern die neue Evita sehen, den Vergleich lehnt Christina Fernández De Kirchner, die Senatorin der Provinz Buenos Aires ab.
Nichts gemein hat die feministische Anwältin Kirchner mit jener "Mutter der Nation", zu der sich Evita stilisierte, die in der Beziehung zu Juan Perón stets die weiblich konnotierte Rolle, der sich für den starken Präsidenten aufopfernden Ehefrau, gab.
Christina Kirchner war nie das Beiwerk ihres Mannes. Sie versteht sich als Intellektuelle, zu einer Gruppe gehörig, die von Juan und Evita Perón bekämpft wurde.

Seit ihrer Studienzeit in den 1970ern sind die Kirchners auch politisch ein Team. Während der Militärdiktatur sollen beide zu den Montoneros gehört haben, einer linksperonistischen Stadtguerilla, die einen Krieg gegen die Militärdiktatur führte. Ab 1991 war Néstor Kirchner Gouverneur seiner Heimatprovinz Santa Cruz. Diese Funktion hatte er inne, bis er sie 2003 zugunsten des Präsidentenamtes aufgab. Während er Gouverneur war, saß Christina Kirchner in der gleichen Provinz im Parlament, von 1995 bis 1997 im Kongress und ab 1997 war sie Abgeordnete im Senat. Ihren wichtigsten Wahlsieg errang CFK im Jahr 2005. Damals wurde sie zur Senatorin der Provinz Buenos Aires gewählt, in der etwa ein Drittel der ArgentinierInnen lebt.

Tradition
Präsidentengattinnen im Kampf um politische Ämter sind in Argentinien schon fast Tradition. Oder besser gesagt starke politische Paare, wie Juan B. Justo, der Gründer der sozialistischen Partei und die berühmte Feministin Alicia Moreau de Justo, wie Juan und Eva Perón und wie nun die Kirchners.

Zwar hatte Evita nie ein offizielles Amt inne, ihr politischer Einfluss und die machtvolle Rolle ihrer Stiftung machten sie seit dem Ende der 40er Jahre dennoch zu einer der einflussreichsten Personen des Landes. Nach der Rückkehr Peróns aus dem Exil ernannte der General seine zweite Ehefrau, "Isabelita" zur Vize-Präsidentin. Diese übernahm das Amt nach Peróns Ableben und regierte das Land schließlich in das Desaster der Militärdiktatur.
Den letzten Kampf der Ehefrauen entschied Christina Kirchner bereits für sich, als sie 2005 die Wahl gegen die ehemalige First Lady Hilda "Chiche" Duhalde gewann und Senatorin der Provinz Buenos Aires wurde.

Auch für die Wahl am 28. Oktober 2007 stehen Christina Kirchners Chancen hervorragend, gleich im ersten Wahlgang zu siegen. Laut Umfragen würden ihr 45 - 49% der ArgentinierInnen ihre Stimme geben. Um bereits im ersten Wahlgang erfolgreich zu sein, müsste CFK entweder 45% der Wahlstimmen erlangen oder 40 %, mit einem Abstand von 10% zum stärksten Gegenkandidaten.

Auf ihren ebenfalls peronistischen Gegenkandidaten und ehemaligen Wirtschaftsminister Roberto Lavagna würden demnach 13% der Stimmen fallen, die Sozialdemokratin Elisa Carrió erhielte 9%.
Der Politikwissenschaftler Enrique Zuleta Puceiro sagte der Zeitung "El Pais" (Uruguay):"Christina Kirchner hat nicht den Hauch einer Chance, die Wahlen zu verlieren, denn ihre Umfragewerte liegen bei etwa 50% und keine/r ihrer GegnerInnen hat die Aussicht eine ähnliche hohe Zustimmung zu erreichen."

Die Zersplitterung der peronistischen Partei in zahlreiche zerstrittene Fraktionen ist dabei nicht unbedingt ein Nachteil, denn auch die Opposition ist heillos uneinig. Ein Gegner, der ihr wirklich gefährlich werden könnte ist nicht auszumachen und den einzigen starken Oppositionellen machte Señora Kirchner zu ihrem potentiellen Vizepräsidenten- Julio Cobos von der UCR

Gerätselt wird auch, warum Néstor Kirchner seiner Frau den Vortritt bei den Wahlen lässt. Spekulationen mehren sich nicht nur hinsichtlich seines Gesundheitszustandes, einige JournalistInnen meinen darüber hinaus die Kirchners wollten das PräsidentInnenamt nach je zwei Amtsperioden wechseln. Somit könnten sie zum einen der Verfassungsklausel entgehen, nach der sich ein(e) Präsident(in) nur für zwei Amtszeiten nacheinander wählbar ist.
Zum anderen könnten sie Ermüdungserscheinungen vorbeugen. Vermutungen die in diese Richtung gehen, weist Christina Kirchner allerdings grundsätzlich als "Science Fiction" zurück.

Was sie will
"Wir wollen nicht die Welt verändern, nur das Land.". Die Kirchners sind für markige Sprüche bekannt, oft werden ihnen Populismus und nicht immer demokratische Entscheidungen vorgeworfen.
Die Bilanz der ersten 4 Jahre unter Néstor Kirchner kann sich jedoch sehen lassen. Arbeitslosigkeit und Armut sinken jährlich, Bruttoinlandsprodukt (BNE) pro Kopf und Renten steigen. Mit einem Wirtschaftswachstum von nahezu 10 Prozent im Jahr weist Argentiniens Wirtschaft zudem ähnliche Werte wie China auf.

Wer nun erwartet, Christina Kirchner würde lediglich die Politik ihres Mannes weiterführen, könnte nach der Wahl eine Überraschung erleben.
Denn auch Néstor Kirchners Image hat an den letzten Korruptionsfällen in der Regierung Schaden genommen und auch die schöngeschriebene Außenhandelsbilanz ruft immer wieder KritikerInnen auf den Plan.

CFK hütet sich angesichts der beeindruckenden Wirtschaftserfolge, von einem absoluten Strategiewechsel zu sprechen. ExpertInnen gehen zudem davon aus, dass gut 50 % der Regierungsentscheidungen bereits jetzt nur mit ihrer Zustimmung getroffen werden. Sie erklärte, der Wandel der argentinischen Nation habe erst begonnen. Ihn will sie durch einen Paradigmenwechsel in der Politik fortführen, sich noch stärker als ihr Mann gegen die Korruption stark machen, die für viele ArgentinierInnen als Grundübel der sozio- ökonomischen Situation gesehen wird.

CFK verspricht zudem Arbeitsplätze und verstärktes Engagement für die Rechte der Frauen. Außenpolitisch wird sie ihren Kurs wohl in altbekannter Manier weiterführen und sich nicht vor Konflikten scheuen. Das bewies sie zuletzt bei einem Treffen mit spanischen Investoren, denen sie geradeheraus erklärte, sie machten zu viel Gewinn auf Kosten des argentinischen Volkes.

Sollte Christina Kirchner am 28. Oktober 2007 die Wahlen gewinnen, wird sie vielleicht nicht die erste demokratische Präsidentin Argentiniens, kann sich aber als die erste demokratisch gewählte bezeichnen.

Weiterführende Links:

Offizielle Seite von Christina Kirchner im Senat: www.kirchner.senado.gov.ar
Nachrichtendienst zu Argentinien: www.argentinienaktuell.com
"Argentinisches Tageblatt", Argentinien: www.tageblatt.com.ar
"Deutsche Welle": www.dw-world.de
"Página 12", Argentinien: www.pagina12.com.ar
"El Pais", Uruguay: www.elpais.com.uy
"La Nacion", Argentinien: www.lanacion.com.ar
"Clarín", Argentinien: www.clarin.com



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Beitrag vom 23.08.2007

AVIVA-Redaktion